Geschichte

Kibitsu-jinja Schrein – Interview mit einem Dämon

Kibitsu-jinja Schrein – Interview mit einem Dämon

Es ist nichts Alltägliches, mit einem Dämon zu kommunizieren. Aber auf dem Weg zum Kibitsu-jinja-Schrein in der Präfektur Okayama, steht genau das für mich und mein Partner auf dem Plan. Aber ich versuche cool zu sein und lese ein altes Buch im Zug nach Kibi.

Die Schatzkammer im Kibitsu Jinja-Schrein wurde 1425 wiederaufgebaut und ist das einzige erhaltene Beispiel des Kibitsu-Zukuri-Baustils.

Uras Dämonengesicht.

Ein Reinigungsritual bereitet die Besucher auf den Besuch der antiken Küche vor, die auf der Stelle errichtet wurde, an der Uras Kopf vergraben ist.

Der überdachte Gehweg im Kibitsu Jinja-Schrein, der 1597 wieder aufgebaut wurde, bietet einen schönen Spaziergang das ganze Jahr über.

Im Zusammenhang mit der berühmten Geschichte von Momotaro, bietet der Kibitsu Jinja Schrein natürlich Talismane, die den Helden-Protagonisten der Geschichte darstellen.

Sehr wenige Schreine haben noch diese alten Küchen und nur der Kibitsu Jinja Schrein führt dieses einzigartige Wahrsageritual durch.

Das wunderschöne rote Innere der antiken Schatzkammer, obwohl für die Öffentlichkeit normalerweise nicht zugänglich, beherbergt viele atemberaubende Artefakte.

Zu Ehren der epischen Schießkunst des ansässigen Gottes veranstaltet der Kibitsu Jinja Schrein regelmäßig Bogenschiessen.

Der Name des Dämons ist Ura und abgesehen davon, dass er furchteinflößend ist, kann er – er ist halt ein Dämon – in die Zukunft sehen und Geheimnisse mit Ihnen teilen.

Aber gehen wir doch einen Schritt zurück – etwas 1.600 Jahre oder so.

Sehen Sie, damals gehörte dieses Gebiet zum Königreich Kibi, und es war ein ziemlich friedlicher Ort, bis der große böse Ura in der Stadt auftauchte. Um Ordnung in die Dinge zu bringen, flehte ein mächtiger Krieger namens Isaserihiko-no-Mikoto die Götter um Hilfe an und sie gewährten ihm magische Kräfte und erwähnten, dass er für beste Ergebnisse im Kampf mit Ura gleichzeitig zwei Pfeile abfeuern sollte.

Nun, ich sage, er “flehte die Götter an”, aber ich werde ehrlich sein – es gibt wirklich kein perfektes Wort im Deutschen, um die Shinto-Idee göttlicher Wesen oder kami zu beschreiben, deren Bedeutung irgendwo zwischen “Göttern, “Geister” und “die Energie und Lebenskraft der natürlichen Welt.” (Hmm …) Also werden wir den Begriff “Götter” ein wenig locker verwenden, nur so nebenbei.

Jedenfalls reiste Isaserihiko-no-Mikoto nach Kibi und der Kampf begann. Ura warf einen riesigen Stein und Isaserihiko-no-Mikoto feuerte den ersten seiner mächtigen Pfeile ab. Die Geschosse trafen sich mitten in der Luft und fielen ins Meer. In Erinnerung an den göttlichen Rat, den er erhalten hatte, feuerte Isaserihiko-no-Mikoto schnell seinen zweiten Pfeil ab. Der Schaft traf Uras Auge und das herausfließende Blut bildete den Chisuigawa (“Blut-Fluss”).

Ura verwandelte sich in einen Fasan, um zu fliehen und so wurde Isaserihiko-no-Mikoto zum Falken. Ura verwandelte sich in einen Karpfen und fiel in den Fluss, um davon zu schwimmen, aber Isaserihiko-no-Mikoto verwandelte sich in einen Kormoran und fing ihn auf.

Von da an wurde Isaserihiko-no-Mikoto als Kibitsuhiko-no-Mikoto bekannt und alle lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage.

Nicht ganz.

Sehen Sie, obwohl Uras Körper weg war, blieb sein Kopf übrig – und hier beginnen die Dinge unheimlich zu werden.

Aus Uras Kopf kam, obwohl er seines Körpers beraubt war, ein tiefes, gräßliches Stöhnen. Also befahl Kibitsuhiko-no-Mikoto einem seiner Gefolgsleute, Uras Kopf an dessen Hund zu verfüttern.

Doch selbst als nur noch ein schleimiger Schädel übrig war, stöhnte Ura weiter. Wenn es darum geht, entsetzliche, unterweltliche Klänge zu verbreiten, ist das ganze fleischige Gesicht einfach im Weg.

Schließlich beschloss Kibitsuhiko-no-Mikoto, Uras Kopf zu vergraben, in der Hoffnung, dass er endlich den Mund halten würde. Aber im Shinto-Glauben gehört es sich, um die Toten zu begraben, Respekt zu zeigen und in der Folge tauchte Ura in Kibitsuhiko-no-Mikotos Traum mit einem überraschenden Vorschlag auf.

“Wenn du stirbst und ein Gott wirst, werde ich dein Bediensteter sein. Ich werde den Leuten von Kibi sagen, was gut und schlecht ist und meine Frau wird in der Küche arbeiten und Essensgaben für dich zubereiten.”

Dementsprechend wurde der Kibitsu-jinja-Schrein mit einer Küche an der Stelle gebaut, wo Uras Kopf vergraben ist. Und bis zum heutigen Tag hallt sein Stöhnen unter dem alten Herd wider – wie Sie gleich sehen werden.

Später entstand aus dieser Geschichte das populäre Volksmärchen Momotaro oder “Pfirsichjunge”. Tatsächlich bietet der Kibitsu-jinja-Schrein sogar omamori (Talismane) mit Momotaro-Motiven an.

Als ich am Schrein ankomme, melde ich mich an und mache ein vorgeschlagenes, abgestuftes Geldangebot, dessen Größe, wie mir versichert wird, keinen Einfluss auf Uras Verhalten gegenüber mir hat. Gut zu wissen, denn “einen alten Dämon zu verärgern” muss erst noch auf meine Liste.

Auf dem Formular muss ich einen Wunsch niederschreiben, und später während der Zeremonie wird mir die Stimme von Ura mitteilen, ob er in Erfüllung gehen wird oder nicht. Englisch ist in Ordnung, wird mir gesagt.

“Werde ich jemals das Manuskript beenden, mit dem ich mich herumschlage?”, schreibe ich und gebe es ab.

Kensuke Uenishi, der Kannushisan (Shinto-Priester), trifft mich und meinen Partner im Hof und zusammen bewundern wir die wunderschöne Architektur des honden (Hauptheiligtum). Die jüngste Rekonstruktion stammt aus dem Jahr 1425. Mit einer Kombination aus japanischer und chinesischer Architektur und einem markanten Dach mit vier Giebeln ist der Kibitsu honden ein eingetragener Nationalschatz (ein offizieller Titel für die wertvollsten Kulturgüter Japans) – und ist das einzige überlebende Beispiel seiner Art.

Uenishi scheint sehr entspannt zu sein – nicht das, was ich von jemandem in einer religiösen Institution erwarten würde, besonders von einem, der einen Dämon beherbergt. Ich sage es ihm und er lacht.

“Shinto ist nicht wirklich eine Religion”, sagt er, “sondern eher eine Kultur aus der alten Zeit. Es gibt kein Dogma, keine Bibel, keine Menschen, die es angefangen haben. Es ist kostenlos und offen für alle, unabhängig von ihren Überzeugungen. Wenn Sie einen Schrein besuchen, sehen Sie den Ursprung der japanischen Kultur.”

Uenishi nimmt mich mit in ein Zimmer und führt ein Reinigungsritual durch, um mich auf die Dämonenprobe vorzubereiten – und danach bin ich auf dem Weg, Ura zu treffen.

Wir gehen nach draußen auf einen schönen überdachten Gang. Im Jahr 1579 wieder aufgebaut, führt der 360 Meter lange Weg entlang einer Bogenschießanlage – eine Hommage an die legendäre Treffsicherheit von Kibitsuhiko-no-Mikoto. Doch der Kibitsu-jinja-Schrein bietet nicht nur Bogenschießen, sondern auch einen 600 Jahre alten Ginkgo-Baum und Blumen in Hülle und Fülle (für einen Hinweis auf das, was gerade blüht, siehe Fußnote unten).

Am zweiten Sonntag im Mai und Oktober findet im Kibitsu-jinja-Schrein Tokushushinsen statt – ein zeremonielles Angebot an zubereiteten Speisen für die Götter, das in Japan heutzutage recht selten ist. Für die Veranstaltung kochen sie 75 Gerichte auf dem Holzofen in der antiken Küche, ein Ort, der jetzt als wichtiges Kulturgut registriert ist. 150 Personen (zwei auf jeder Seite jedes Gerichtes) tragen das Fest zu Ehren von Kibitsuhiko-no-Mikoto.

“Nach der Meiji-Ära begannen die Schreine, den Göttern Rohkost anzubieten und so verschwanden diese alten Küchen”, erklärt Uenishi. “Zum Beispiel bieten heutzutage die meisten Schreine nur einen ganzen rohen Kohl an. In der Vergangenheit wurden sie wunderschön vorbereitet, bevor sie den Göttern präsentiert wurden. Wir machen es auf die alte Art. ”

Als ich frage, welche Lebensmittel Götter am meisten mögen, antwortet Uenishi behutsam.

“Wir machen Essen für den kamisama (Gott) jeden Tag, aber wir wissen nicht wirklich, was Götter mögen. Also kochen wir das, wovon wir glauben, das es großartig schmeckt – das ist die beste omotenashi (Gastfreundschaft) für einen Gott. ”

Die Fortsetzung dieses alten Rituals ist einer der Gründe, warum der Kibitsu-jinja-Schrein seine traditionelle Küche beibehält.

Das und der abgetrennte Kopf des Dämons liegt unter dem Herd vergraben.

Als ich in die alte kamaden-Küche gehe, wird die Stimmung angespannt. Hier filtert Licht durch Lamellenfenster und erhellt den Rauch der ewigen Flamme, die im alten Ofen brennt – Rauch, der im Laufe von mehr als 400 Jahren die Holzbalken schwarz lackiert hat.

Der kannushisan und zwei Assistenten beginnen das Ritual. Er beginnt eine alte Beschwörungsformel zu lesen, als einer der Assistenten trockenen Reis in den Topf gibt und anfängt umzurühren. Langsam zuerst, aber mit wachsender Kraft füllt das tiefe kehlige Ächzen von Ura den Raum.

Das Geräusch klingt zwar bedrohlich, aber überraschenderweise nicht böse – zumindest nicht für mich. Tatsächlich fühlt es sich… auf eine komische Weise warm nicht. Sowas habe ich nicht erwartet.

Das Geräusch verebbt langsam, wir verbeugen uns respektvoll vor Ura und treten zurück ins Tageslicht.

“Nun,” frage ich Uenishi, “woher weiß ich, was Ura gesagt hat?”

“Was hast du gefühlt, als du ihn gehört hast?”, stellt er mir als Gegenfrage.

“Das Geräusch fühlte sich freundlich an…, fast ermutigend.”

“Dann hast du deine Antwort.“, antwortet er.

Mein Partner und ich verabschieden uns von Uenishi und gemeinsam gehen wir noch ein wenig um den Schrein herum, bevor wir uns in einem Restaurant in der Nähe zum Mittagessen gehen.

“Wirst du wieder im Zug lesen?”, fragt mein Partner.

“Nein, ich glaube, ich werde an meinem Manuskript arbeiten,” antworte ich mit einem dämonischen Grinsen.

Fotos & Text von Peter Chordas

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